***************************
|
21:26 (vor 10 Stunden)
| |||
|
Wenn
euch das aber nicht gefällt, dann entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt:
den
Göttern, die eure Vorfahren jenseits des Stromes verehrt haben, oder den Göttern
der Amoriter, in deren Land ihr lebt. Doch ich und
meine ganze Familie - wir werden Jahwe dienen!" Da erwiderte das Volk:
"Nein, wir wollen Jahwe nicht verlassen, um anderen Göttern zu dienen!
Josua 24,15-16
DER SPIEGEL - 15.11.1993 – Militärseelsorge
Ostdeutsche
Protestanten wollen ein Abkommen zwischen Staat und Kirche aus der Zeit des
Kalten Krieges kippen - den Militärseelsorgevertrag.
Bei einem Einsatz des Alpha-Jet-Geschwaders der
Bundeswehr während des Golfkrieges traf Militärpfarrer Manfred Kahl einen
jungen Gefreiten. Der Mann, berichtete
Kahl, sei "in fast schon verwirrtem Zustand" gewesen. In einem drei Stunden
dauernden Gespräch, so der Kleriker stolz, sei es ihm gelungen, den Soldaten
"aufzuschließen" und so weit hinzukriegen, daß er seinen Dienst wieder
aufnahm.
Der Pfarrer als Fitmacher und
Aufbauhelfer für die Kampfmoral der
Truppe. So versteht das
Bonner Verteidigungsministerium den Sinn der vom Staat finanzierten
Militärseelsorge der beiden Großkirchen, und viele Bundeswehr-Geistliche wirken
als treue Handlanger der Obrigkeit.
Jahrzehnte war der Militärseelsorgevertrag in den Kirchen kein großes Thema.
Doch seit der Wiedervereinigung
wächst zumindest in der evangelischen Kirche der Widerstand gegen den wehrhaften
Filz: Die Landeskirchen aus der
ehemaligen DDR weigern sich beharrlich, den zwischen der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) und der Bonner Regierung geschlossenen
Militärseelsorgevertrag zu übernehmen. Sie fordern bei der Landesverteidigung
die radikale Trennung von Kirche und Staat.
Der Militärseelsorgevertrag stammt aus der
Hoch-Zeit des Kalten Krieges. Kanzler
Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß
brauchten damals _(* Im Kampfpanzer Leopard 2 bei einem ) _(Truppenbesuch. )
die Kirche für die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und fanden in dem
ersten Militärbischof Hermann Kunst einen willigen Partner. Weder Kunst noch
der EKD-Rat stießen sich daran, daß die dem Staat untertane
Militärseelsorge seit Kaisers Zeiten sich selbst demontiert
hatte. Für die Soldaten des Ersten
Weltkrieges reimte 1914 ein
Militärpfarrer: "Nun deutsche Fahnen flattert, nun deutsche Schüsse knattert,
und trefft den Feind ins falsche Herz, nun bete jeder deutsche Christ, daß
Gottes Segen mit uns ist."
Und der spätere Bischof Otto
Dibelius verkündete 1930 die frohe Botschaft, ein Soldat "steht im Dienste
seines Gottes, wenn er für das Vaterland kämpft".
Die EKD-Synode, das Kirchenparlament, stimmte 1957 dem
bereits unterzeichneten Vertrag murrend zu. Vergangene Woche, auf der
Herbstsynode der EKD in Osnabrück, gab es wieder Zoff. Angeführt von
ostdeutschen Protestanten wie dem Erfurter Propst Heino
Falcke, verlangten zahlreiche
Synodale, das unzeitgemäße Vertragswerk endlich zu kippen. Auf Ablehnung der Kritiker stößt vor allem der Status
der Militärseelsorger. Die
Militärpfarrer sind Staatsbeamte und dem "Evangelischen Kirchenamt für die
Bundeswehr" unterstellt. Oberster Dienstherr:
Verteidigungsminister Volker Rühe.
Die rund 230 Militärgeistlichen beider Kirchen sind in
Kluft und Auftreten kaum von den Soldaten zu unterscheiden: Bei Manövern fahren sie in grünen
Dienstwagen, die Truppe begleiten sie zum Einsatz, etwa in Somalia oder
Kambodscha, in uniformgleicher "Schutzkleidung". Selbst zum Feldgottesdienst treten sie schon mal in
Uniform an. Um bei den Soldaten anzukommen, so ein Militärgeistlicher, müsse
man eben "so riechen, so schmecken, so aussehen wie sie". Die
Militärpfarrer haben als Chef einen Militärbischof und sind nicht mehr an
Weisungen ihrer Landeskirche oder etwa friedenspolitische Beschlüsse der Synode
gebunden. In ihrer Arbeitszeit erteilen sie den Soldaten "Lebenskundlichen
Unterricht". Der ist
ihnen per Dienstanweisung vom Verteidigungsministerium
vorgeschrieben.
Sie sollen, so heißt es in der Anweisung, "die Gemeinschaft" als "verteidigenswert" darstellen und die Soldaten "Selbstzucht" lehren. Zum
Lebenskunde-Thema "Angst" im Juni letzten Jahres formulierte das evangelische
Kirchenamt in diesem Sinne forsch: "Tapferkeit erwächst aus Angst."
Praktisch, klagt Propst Falcke, früher einer der Wortführer der kirchlichen
Friedensbewegung in der DDR, existiere in der Bundesrepublik "eine Art
Militärkirche, die ihr Eigenleben führt".
Die in der Verfassung vorgegebene Trennung von Staat und Kirche, so Falcke,
sei "ausgerechnet an einem der sensibelsten Punkte gefährdet". Bonn
alimentiert die Militärseelsorge jährlich mit insgesamt 48 Millionen Mark, 30
Millionen gibt die Kirche dazu. Der finanzielle Kuddelmuddel erzeugt nach
Ansicht des Synodalen Axel Noack aus Merseburg "eine nur schwer durchschaubare Vermischung
von staatlichen und kirchlichen Zuständigkeiten".
Außerdem, so die Kritiker, stimmten die Proportionen
nicht. Für die
Friedensarbeit gebe die Kirche nur ein Zehntel der Summe aus, die sie für die
Betreuung der Militärs verpulvert - jährlich knapp drei Millionen
Mark.
Die vom Staat spendierten Millionen, argwöhnt Ulrich
Töpfer vom thüringischen Landesjugendpfarramt, sollten doch bloß "staatliche Militärpolitik durch die
Kirchen absegnen helfen". Ein
Musterfall für die Unvereinbarkeit der kirchlichen Verkündigung und der Bonner
Interessen könnte nach Töpfers Ansicht schon bald der Einsatz der
Bundeswehr außerhalb der Nato werden. Da
sieht er "die Freiheit der Verkündigung eingeschränkt, denn laut den verteidigungspolitischen
Richtlinien der Bundeswehr können solche Einsätze auch zur Sicherung von
Rohstoffquellen und der
Handelswege dienen. Und das können die
Kirchen wohl kaum mittragen und legitimieren". Militärpfarrer waren bisher schon
bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr dabei - nicht nur im Militärhospital in
Kambodscha, sondern auch während des Golfkrieges an der Grenze zum Irak und
derzeit in Somalia. Nur einmal hat einer den Dienst verweigert - ein
katholischer Bundeswehrgeistlicher, Wolfgang Schuhmacher aus Saarlouis, sperrte
sich gegen den Somalia-Trip, wegen des "ungeklärten rechtlichen und politischen
Einsatzes der Bundeswehr".
Doch gerade die Katholiken halten ansonsten stramm den
Bonner Kurs: Anders als die Evangelischen hat der katholische Militärbischof
Johannes Dyba, zugleich Vorsteher der Diözese Fulda, gleich nach der Vereinigung
mehrere Dutzend Kleriker in die ostdeutschen Kasernen entsandt. Dybas
Vorpreschen brachte die Protestanten in Zugzwang: Auch eine Handvoll
evangelischer Pfarrer im Osten schiebt inzwischen Dienst an Soldaten. Die
Geistlichen erproben ein staatsfernes Alternativmodell: Sie werden allein von
der Kirche bezahlt und bleiben eingebunden in ihre Landeskirche. Die
Ost-Bischöfe wollen dieses Modell weiterentwickeln, doch mangelt es ihnen an
Geld.
Die Bundeswehr behindert die zivilen Soldatenpfarrer,
indem sie ihren Zugang zu den Kasernen durch allerhand Vorschriften
einschränkt. Druck macht zudem eine Lobby aus Kirche und
Verteidigungsministerium. 63 000 Soldaten
forderten in einer von Offizieren organisierten "Aktion Pro Militärseelsorge" den Erhalt des Militärseelsorgevertrages, eine Gruppe
"Christliche Soldaten in Uniform" wirbt in den Ost-Kirchen für die alten
Strukturen. Mangels Geldes und Erfahrung, so das Kalkül, werde sich das
Ost-Experiment von allein totlaufen. In einem internen Bericht an den
Generalinspekteur der Bundeswehr empfehlen die Standortkommandeure Ost: "Daher
sollte man sich Zeit lassen."
Zeit gewinnen will auch die EKD. Die Synode schob letzte
Woche die Entscheidung über eine Kündigung des Militärseelsorgevertrags erst
einmal ins nächste Jahr, weil Gegnern wie Befürwortern die Mehrheitsverhältnisse
in dem Gremium unklar schienen. Außer den acht östlichen sind auch vier
westdeutsche Landeskirchen - Bremen, Hessen-Nassau, Rheinland und
Schaumburg-Lippe - inzwischen für eine Änderung der Verhältnisse. Nur noch zwei
- Bayern und die Nordelbische Kirche - haben sich ausdrücklich für Beibehaltung
der bisherigen Praxis ausgesprochen.
Eine Endlosdebatte über das Thema dürfte vor allem den
Ost-Kirchen Verdruß bringen.
In Thüringen, Sachsen und Mecklenburg haben sich bereits
kirchliche Mitarbeiter, darunter auch Pfarrer, zusammengetan, die bei einer
Übernahme des Militärseelsorgevertrages ihren Dienst "aus Glaubens- und
Gewissensgründen" aufgeben wollen.
Eine Lobby aus Kirche und
Bundeswehr macht DruckDER SPIEGEL 46/1993
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen